Montag, 14. Juli 2014

Erster Ekorrsele-Marathon

"Es ist gut 40 Kilometer weit von Lycksele nach Ekorrsele", erklärte Maria, als sie uns vor vier Jahren in der "Stadt in Lappland" vom Flughafen abholte, um uns durch die wilde, dünn besiedelte Landschaft nach Ekorrsele zu chauffieren. Bereits die allererste Hundeschlitten-Tour bei Aurora Borealis Adventures packte uns so sehr, dass wir im Sommer wie im Winter immer wieder auf den Husky-Hof von Donald und Maria zurückkehrten. Nach den Ausflügen mit den Ausdauersportlern auf vier Pfoten schnürten wir regelmässig die Laufschuhe und gingen eigenhändig auf Entdeckungstouren. Eine Idee keimte - die 40 Kilometer von Lycksele nach Ekorrsele müsste man laufen können!


Zwei Winter später wagten wir mit spikebewehrten Icebugs an den Füssen wenigstens einen Halbmarathon. 


Mittlerweile haben wir in der Nähe des kleinen Regionalflughafens unsere zweite Heimat gefunden, und es kann kein Zufall sein, dass wir nun fast genau 42.195 Kilometer von unseren Freunden in Ekorrsele entfernt wohnen. 

Im Monat nach dem Nachtmarathon haben wir versucht, unsere Langstreckenfähigkeit auf dieses Wochenende hin wieder aufzubauen. Doch am Tag X scheinen uns plötzlich Hitze und heftige Gewitter einen Strich durch die Rechnung zu machen, ausser wenn wir sehr zeitig aufbrechen würden!


Bereits um 4:55 Uhr starten wir an der kreisrunden Bucht des Flusses Umeälven zum Marathon nach Ekorrsele und absolvieren als Einstieg eine kurze Umkehrschleife zum Flughafen.




Wir überqueren den Tannbäcken und durchqueren Tannsele - für lange Zeit den letzten Weiler. Die Blumenpracht am Wegrand wird von Tag zu Tag bunter, drei Kraniche fliegen am Waldrand auf, und Brachvogel und Kiebitz warnen vor den "Eindringlingen".





Auf der langen Gerade durch den Wald melden unsere Garmins bereits den 10. Kilometer. Wir haben uns vorgenommen, höchstens im Longrun-Tempo zu laufen, und es rollt gut, obwohl wir kurz vor dem Start noch mehrere Glas Tee getrunken und Honigbrote gegessen hatten. Meine Füsse stecken wieder barfuss in den On Clouds, das Laufgefühl ist herrlich, kein Muskel zwickt. Dass der Puls etwas hoch ist, muss wohl am vollen Bauch liegen.



Im Gegensatz zu den Sightseeing-Joggings wollen wir heute durchlaufen, wie bei einem offiziellen Marathon. So muss ich mich mit Schnappschüssen begnügen. Die Spiegelungen auf dem See Lilltannträsk sind wieder sehr faszinierend. Meistens geniessen jedoch die Bäume die Aussicht aus der ersten Reihe am steilen Ufer des Sees.




Auf den nächsten Kilometern durchqueren wir ein Hochmoor und gelangen zum Urwald von Tuggensele.





Wie auf einer langen Perlenkette reihen wir nun die Strecken und Sehenswürdigkeiten, die wir in der letzten Woche erkundet hatten aneinander.


Es geht links ab in Richtung Staudamm der Tuggensele kraftstation. Auf einer schnurgeraden Sandpiste können wir es abwärts rollen lassen. An markanten Stellen hatten wir gestern Abend alle sieben Kilometer eine 1.5-Liter-Wasserflasche deponiert. Die nächste liegt im Strassengraben auf der Höhe von zwei Ansitzen, welche beidseits der Strasse stehen. Dass es davon innerhalb von ein paar hundert Metern mehrere gibt, hatten wir nicht beachtet, und so fürchten wir einen Moment, das wertvolle Nass verpasst zu haben. 



Mächtige Hochspannungsleitungen verlaufen über die Weiden des Hofs Otternäs und künden das Kraftwerk an. Düstere Wolken schieben sich vor die Sonne. Auf dem gestauten Umeälven hinterlassen die Regentropfen Ringe auf dem Wasser. Wenn das Gewitter nur nicht zu früh losbricht!



Über einen naturbelassenen Zufluss "klettern" wir auf der anderen Talseite auf kürzester Strecke 30 Höhenmeter bis zur Autobahn E12 hinan.


Kaum ein Fahrzeug kommt uns auf den etwa fünf Kilometern, die wir auf dem "motorväg" zurücklegen, entgegen, und die wenigen schweren Laster mit je drei Ladungen Baumstämmen weichen uns jeweils grosszügig aus.




Kurz vor der Abzweigung nach Ekorrsele ist bereits die halbe Strecke geschafft.


Nun laufen wir auf der im Winter 2012 zurückgelegten Halbmarathon-Strecke. Es geht kilometerweit durch den Wald und die Weiler liegen weit auseinander.



Langsam gewinnt die Sonne noch einmal die Oberhand über die Wolken, es ist erst kurz nach sieben Uhr, wird aber sehr schnell heiss, die Luftfeuchtigkeit steigt bis gegen 80%, und die tief stehende Sonne macht zusammen mit dem Dunst meiner Kamera zu schaffen.






Wald ist nicht gleich Wald - mal ist er licht, mal dicht, mal besteht er hauptsächlich aus Birken, dann herrschen Tannen vor, die Bäume stehen vereinzelt in einem Moor oder versuchen sich auf Felsen oder Findlingen zu behaupten - für Abwechslung ist entlang des einsamen Asphaltbandes gesorgt.


Plötzlich taucht das Ortsschild Ekorrsjö (Eichhörnchensee) auf, doch gehören zu diesem Weiler nur einige wenige Häuser.


Dank dem reichlich bereitgestellten Wasser ist die gewittrige Hitze gut zu ertragen. Meist leeren wir unsere 7-dl-Flaschen von einer Versorgungsstelle bist zur nächsten nicht ganz, und ich kann auch noch Kopf und Arme kühlen. Erfreulich ist zudem, dass die Verpflegung heute perfekt klappt, obwohl ich mich auf bisher unbekannte Gels (Enervit) verlasse, die ich im lokalen Sportgeschäft gekauft hatte.



Im Winter halten sich in diesem lichten Wald am Ufer des Eichhörnchensees gerne die Rentiere auf.




Wir verlassen die "Gemeinde" von Lycksele und damit die historische Provinz Lappland.



Am See "Eichhörnchensumpf" weitet sich das Land und damit auch die Aussicht wohltuend. 33 Kilometer haben wir zurückgelegt, als wir das gleichnamige, malerische Dörfchen erreichen. Nun müssen wir richtig kämpfen, denn der Wind hat aufgefrischt, bringt uns zwar Kühlung, da er uns direkt entgegen bläst, verlangt er aber auch mehr Kraft zum vorwärts Kommen, zumal ausgangs Ekorrträsk einer der vielen Hügel wartet.








Hinter dem "Eichhörnchensumpf" wird es richtig einsam. Doch die Natur ist faszinierend und wir schätzen uns glücklich, hier unterwegs sein zu dürfen. Keine 20 Fahrzeuge sind uns bisher begegnet!


Wir können an unserm Trott festhalten, während es durch sumpfigen Wald, über lange schattenlose Geraden, kleine Bäche mit moorigem Wasser und an Ansitzen vorbei geht.





Ein Wegweiser macht auf die Storfallforsen aufmerksam. Die grossen Wasserfall-Stromschnellen wollen wir uns auf dem Heimweg ansehen!



Auf den letzten Kilometern wird das Tal, in dem der Ekorrbäcken (Eichhörnchenbach) fliesst, enger und unsere Route richtig "gebirgig".





Die Sonne strahlt hochsommerlich intensiv, und wir können das erfrischende Bad im Vindelälven an unserem Ziel kaum erwarten.


Wiederholt wird die Strasse zur Piste. Sie wartet schon lange auf die nötige Reparatur und einen neuen Teerbelag. Und wie eine Mondlandschaft präsentiert sich eine Abholzung, die nach den schweren Herbststürmen nötig wurde.


Nach dem Ortsschild von Ekorrsele (Eichhörnchen-Flussbucht) umfängt uns wieder heiler Wald, den Endspurt können wir abwärts anziehen, doch es wird klar, dass unser Marathon nicht wie geplant auf oder nach der Brücke über den Fluss Vindelälven enden wird (der Tachometer des geliehenen Volvos mit 340'000 km auf dem Buckel ist schuld...).


Stattdessen zeigt meine Garmin auf der Brücke über den Ekorrbäcken 42.2 km an, und Andi muss noch 19 Sekunden weiter laufen.



Glücklich und stolz, aber auch müde spazieren wir die verbleibenden paar hundert Meter zum Vindelälven. In Ekorrsele wird Heu nicht in grossen, weissen "Dino-Eiern" gelagert, sondern noch traditionell auf Heudiemen ("hässja") getrocknet. 





Die Longrun-Marathon-Finisher.



Auf dem Husky-Hof steht das Empfangskommittee schon bereit und ist erstaunt, dass man eine Marathon-Ankunft auf die Minute genau ansagen kann.


Meine On Cloud haben mich super über diese lange Strecke getragen. Muskulär geht es mir so gut wie schon lange nicht mehr nach einem Marathon, doch ich habe an den 2. Zehen je eine grosse Blase davongetragen und bin froh die Schuhe endlich ausziehen zu können.


Nur wenige Meter, und wir sind am Strand des Vindelälven-Stroms. Das Wasser ist herrlich warm - mindestens 22° schätzt Donald - und das Bad im Fluss ist eine Wohltat für die müden Muskeln.



Auf der Veranda des Hot Tubs ersetzten wir die verbrannten Kalorien mit Sandwiches, Äpfeln und Zimtschnecken aus der gestern deponierten Kühlbox, und in Marias Preziosen-Shop finden wir gar eine passende "Medaille", die uns immer an diesen speziellen Marathon erinnern wird. Worüber wir stolz sind, das sehen Donalds Arbeitskameraden bestimmt etwas anders, laufen sie doch in der Winter-Saison oft täglich über die Marathon-Distanz oder gar weiter!






Die grossen Wasserfall-Stromschnellen im Eichhörnchenbach wollen wir uns nicht entgehen lassen. Auf dem Heimweg schlendern wir dem Brausen entgegen, während schon der erste Donner grollt. Mit den Stromschnellen der Flüsse kann sich die Storfallforsen nicht messen - für einen Bach sind sie durchaus eindrücklich. 


Wir sind kaum zuhause, da fallen riesige Tropfen vom Himmel, die sich zu einem sintflutartigen Gewitter-Regensturm auswachsen.




Die kurze "Nacht" fordert ihren Tribut, wir versinken in einen oberflächlichen Mittagsschlaf, der immer wieder von Donnergrollen oder Erinnerungen an unseren Marathon unterbrochen wird. Niemals hätte ich erwartet, dass ein Lauf über 42.195 Kilometer durch eine derart dünn besiedelte Gegend und ohne jegliche Ablenkung durch Publikum, Kilometerschilder und reich gedeckte Verpflegungstische so kurzweilig sein könnte!

1. Ekorrsele  Marathon / 42.195 km / 3:57:35 Stunden
5:37.8 Min./km / Puls 149
1. Halbmarathon 1:59:01 Stunden / 5:38 Min./km

2. Halbmarathon 1:58:34 Stunden / 5:37 Min./km
+ 197 hm / - 220 hm
15-25° bedeckt bis schön, gewittrig, schwül, leichter O-Wind

Track http://connect.garmin.com/activity/541266240

4 Kommentare:

  1. Wow, was für ein "Longrun" :-)

    Und danke für all die wundervollen Bilder!

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    1. Hallo Markus
      Es freut mich, dass dir die Bilder von unserem nordischen Marathon gefallen! Wir kommen immer mehr auf den Geschmack von genussvollen statt schnellen Läufen :-)
      Gruss Marianne

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  2. Hey Marianne,
    ganz herzliche Glückwünsche an Euch beide zur erfolgreich absolvierten Weltpremiere des einzigartigen Eichhörnchen-Privatmarathons! Also ich hätte ja auch meine Zweifel, ob soviel pure, aber menschenleere Natur mir Augenmensch genügend Futter- und Motivationsstoff bieten würde, aber Du hast mich auch durch Deine wunderschönen Bilder da doch eines Besseren belehrt! Klasse habt ihr das alles organisiert: Die Verpflegungspunkte haben Euch erwartet, das Empfangskommittee stand bereit, es gab Privat-Finisher-Medaillen und Privat-Finisher-Urkunden. Selbst das Entspannungsbecken zur Regeneration war parat und selbst das Wetter hat mit seinem Regen bis nach Eurer Ankunft gewartet.
    Ein perfekter Läufertag!
    Erholt Euch gut!
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Hej Elke
      Vielen Dank für deine Glückwünsche! Ob es nächstes Jahr eine weitere Auflage des "Eichhörnchenbucht-Marathons" geben wird ;-)?
      Du musst doch zuletzt Zweifel haben, ob dir diese nordische Strecke zu eintönig wäre - du kannst im Rheinland auf der Autobahn laufen und auf dem Nürburgring "Ferrari" spielen - da wäre dir in der "Wildnis" mit ihrer abwechslungsreichen und für uns ungewöhnlichen Fauna und Flora bestimmt nicht langweilig ;-)
      Schön, dass ich dir mit den Bildern von unterwegs zeigen konnte, wie facettenreich Waldlandschaft sein kann!
      Beim Organisieren am Abend zuvor hatten wir den Eindruck, wir müssten das Rätsel vom Bauer lösen, der Ziege, Kohlkopf und Wolf in seinem winzigen Boot einzeln über den Fluss bringen soll, ohne dass dabei eine "Partei" zu Schaden kommt ;-) Kühlbox und Wechselkleider packen, Auto ausborgen um das Mietauto am Ziel zurücklassen zu können, Strecke vermessen, Verpflegungsposten festelegen ...
      Aber es hat sich gelohnt! Der Lauf hat prima geklappt und war durch die vielen unterschiedlichen Etappen so abwechslungsreich, dass wir im Ziel angekommen nicht den Eindruck hatten, vier Stunden unterwegs gewesen zu sein!
      Das Gewitter hätte ich wirklich lieber nicht auf der Strecke erleben wollen!
      Ja, es war ein einmaliges Lauferlebnis, und wir haben kaum Nachwehen :-)
      Liebe Grüsse
      Marianne

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